Inhalt
In diesem neu zu entdeckenden Roman gerät der namenlose Ich-Erzähler vom Anfang des 20. Jahrhunderts durch eine Zeitreise in das ihm fremde Leningrad der 1950er-Jahre. Allerdings hat er den Weltkrieg ebenso »verschlafen« wie die Russische Revolution. Dadurch fällt sein Vergleich der »alten« Zeit mit der fiktiven Gegenwart der 50er-Jahre besonders deutlich aus. Er bewegt sich wie ein Fremder im eigenen Land, in dem der Bestohlene aufgrund ihres »Reichtums« verurteilt werden und Diebe aufgrund ihres proletarischen Hintergrundes straffrei bleiben. Vor dem Auge des Lesers entsteht das Zerrbild einer zukünftigen Gesellschaft, das damals im Entstehen war und bis heute in eine beängstigende Gegenwart Russlands hinein wirkt: Die Presse existiert lediglich zu Propagandazwecken, die Kultur ist zensiert und uniformiert, die Gesellschaft ist auf Lüge und Doppelmoral aufgebaut, und die Menschen versuchen, in dieser »verkehrten Welt« jeder auf seine Weise und nach seinem Verstand zurechtzukommen. Mit Leningrad hat Michail Kosyrew vor genau100 Jahren einen bemerkenswerten negativen Staatsroman und zugleich einen prophetischen Text verfasst. Er geriet ab Mitte der 1920er-Jahre ins Visier der Kulturpolitik, in den 1930er-Jahren wurde er seiner Publikationsmöglichkeit beraubt, und 1942 starb er in Haft in Saratow an der Wolga, vermutlich in einem Gefängnishospital.
Michail Kosyrew
Michael Düring
Aktuelle Ausstellungen
20.03.2025 Neuerscheinung
„Leningrad“ – Ein satirischer Roman mit zeitloser Brisanz

Mit seinem Roman „Leningrad“ entwirft Michail Kosyrew eine düstere Vision der totalitären Herrschaft, die bereits in den 1920er-Jahren geschrieben wurde, aber bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Der Roman erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich plötzlich in einer ihm fremden Gesellschaft wiederfindet – einem Leningrad der 1950er-Jahre, das von Misstrauen, Willkür und Angst geprägt ist. Durch seine scharfsinnige Satire offenbart Kosyrew die Mechanismen eines repressiven Systems.
Was macht diesen Roman besonders?
- Eine eindringliche Auseinandersetzung mit totalitärer Herrschaft
Der namenlose Erzähler blickt als Außenseiter auf eine Welt, in der Lügen das Überleben sichern und Wahrheit gefährlich ist. Die grotesken Verhältnisse, die Kosyrew beschreibt, spiegeln die Strukturen eines repressiven Staates wider – mit beklemmender Parallele zur Gegenwart. - Wiederentdeckung eines lange vergessenen Werkes
Der Roman wurde in den 1920er-Jahren geschrieben, geriet jedoch in Vergessenheit, da Kosyrew selbst dem sowjetischen Repressionsapparat zum Opfer fiel. Erst jetzt wird sein Werk durch die editorische Arbeit von Michael Düring neu zugänglich gemacht. - Eine literarische Warnung mit ungebrochener Aktualität
„Leningrad“ zeigt auf erschreckend klarsichtige Weise die Mechanismen autoritärer Systeme. Damit ist es nicht nur ein historisches Zeitdokument, sondern auch ein hochaktueller Kommentar zu politischen Entwicklungen unserer Zeit.